Haste mal 15 Min. Zeit? Startups als Wissenschaftsobjekte

Haste mal 15 Min. Zeit? Startups als Wissenschaftsobjekte

Startups sind begehrte „Studienobjekte“

„(…) bitte erlauben Sie mir, mit folgendem Anliegen an Sie heranzutreten: Im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung an der Universität XY über den Erfolg von deutschen Unternehmensgründungen im E-Commerce möchten wir Sie gerne zu einer Untersuchung einladen. Eine solche wissenschaftliche Untersuchung bedarf ganz entscheidend der Informationen aus möglichst vielen Unternehmen. Aus diesem Grund führen wir eine Online-Befragung von 5244 Unternehmen durch, welche im E-Commerce tätig sind. In diesem Zusammenhang bitte ich auch Sie als Gründerperson (ansonsten bitte weiterleiten) Ihres Unternehmens um Ihre Unterstützung. (…) Wir versichern Ihnen, dass alle Angaben anonym und vertraulich behandelt werden. Ihre Angaben dienen ausschließlich statistischen und analytischen Zwecken.“

dann die 2. Mail:

„Da es für unsere Untersuchung von großer Wichtigkeit ist, von möglichst vielen der angeschriebenen Unternehmen – speziell den Gründerpersonen – Informationen zu erhalten, möchte ich Sie noch einmal um Ihre Unterstützung bitten.“

nach meiner Ablehnung:

„vielen Dank für Ihre Antwort. Die Gründungsbedingungen in Deutschland kann ich aus persönlicher Sicht nur schwer einschätzen [Klar, du bist ja Student] . Studien zeigen allerdings in der Regel, dass sowohl das gesellschaftliche Klima als auch staatliche Förderung in Deutschland nicht unbedingt ideal [die sind einfach nur schlecht- mein lieber Schönredner] für Entrepreneure sind. Die Zeit um die ich Sie gebeten habe wird tatsächlich in keinster Weise von uns monetär vergütet  [war klar!]. Dies wäre uns als Institut mit unseren beschränkten finanziellen Mitteln auch nur schwer möglich und würde dazu noch die Ergebnisse unserer Forschung kompromitieren  [mangelhafte Rechtschreibung kompromittiert deine Forschung zwar nicht, aber sie zeigt, dass du nicht mal die Word-Rechtschreibkorrektur verstehst]. Zu der Verwendung einer Serienmail ist zu sagen, dass sich großzahlig angelegte Studien kaum anders durchführen lassen, als unter Verwendung gewisser technischer Hilfsmittel. Und eine individuelle Analyse ihrer Gesundheits-Plattform ist tatsächlich nicht Bestandteil unserer Studie. Ziel unserer Studie ist es lediglich herauszufinden und zu belegen, dass es Ansätze und Lösungsmöglichkeiten für willige Gründer gibt, in einem gründungsfeindlichen Klima, mit geringen Mitteln und ohne staatliche oder private Unterstützung trotzdem erfolgreich gründen können [klar – du willst zeigen, dass es immer ein paar gibt, die im Haifischbecken überleben – ergo,  es möglich ist, zu gründen…]. Damit soll zukünftigen Unternehmern eine Alternative zu staatlichen Förderprogrammen und Venture-Capital-Gebern an die Hand gegeben werden. [damit wird niemandem etwas an die Hand gegeben!]

Oder noch besser:

„ich verstehe durchaus, dass Sie etwas besseres zu tun haben, als für zahlreiche Studenten Fragebögen auszufüllen. Nur leider gehört zu einem erfolgreichen Studium auch eine wissenschaftliche Arbeit, die bei mir eine Empirie beinhalten muss. Also bitte helfen Sie mir und füllen den Fragebogen aus, es sind 15 Fragen die innerhalb von 4 Minuten beantwortet sind. (Aber klicken Sie bitte nicht nur „Keine Angabe“ an). Und Google ist doch auch ein ganz interessantes Thema. [In der Tat ist Google ‚ein ganz interessantes Thema‘ ]
Ich weiß, Ihre Zeit ist kostbar und glauben Sie mir ich würde auch lieber die Sonne genießen, als neben meinem Fulltimejob jeden Abend in die Bibliothek zu gehen und an meiner Masterarbeit zu arbeiten. Aber wir wissen doch Beide, dass man nur mit Fleiß weiterkommt, sonst wären Sie mit Ihrem Unternehmen auch nicht in meiner Liste gelandet. [Besten Dank – deine Liste nützt mir nix]

Auf meine Frage nach dem wissenschaftlichen Ansatz:

„Gerne würden wir Ihnen als Teilnehmer die Ergebnisse unserer Forschung schicken, dass wir den Ansatz noch nicht veröffentlichen können liegt daran, dass bei Kenntnis des Ansatzes das Ergebnis kompromitiert wäre.“

Kurz: Ich erfahre nix, bekomme nix, soll aber meine Arbeitszeit kostenlos als ein namenloser Startup zur Verfügung stellen – gehts noch???

++++++++++

„Für meine Masterarbeit zum Thema „Cloud Computing in Deutschen Internet Start-Up-Unternehmen“ am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, bitte ich um Ihre Unterstützung durch Teilnahme an meiner Umfrage. [welcher Cloud-Anbieter hat euch dieses Thema aufgedrückt?  Für den Mittelstand würde es noch Sinn machen, aber doch nicht für Startups!]

dann in der 2. Mail schon penetranter…

„ich habe Sie vor kurzem dazu eingeladen, an meiner Online-Umfrage „Cloud Computing in Deutschen Internet Start-Up Unternehmen“ teilzunehmen. Wenn Sie noch nicht an der Befragung teilgenommen haben, möchte ich Sie herzlich bitten, sich an der Umfrage zu beteiligen. Ihre Antworten werden anonymisiert und Ihre Daten unterliegen dem Datenschutz. [Ich WILL aber gar nicht anonym bleiben, sondern als ein individuelles Startup wahrgenommen werden – auch von der lieben ‚Wissenschaft‘]

+++++++++++

„wir vom XY Institut für Innovationsforschung führen eine Studie zu Erfolgsfaktoren von Startups durch. Der Fragebogen richtet sich an Gründer und die Bearbeitung dauert nur ein paar Minuten. Bitte leite den Fragebogen an Ralf Schlieper weiter; gerne auch an andere Startups, denn unser Adressbuch umfasst vor allem die XY Szene. Als Dankeschön senden wir euch die Ergebnisse direkt weiter.“

Immerhin – man erhält die Ergebnisse – allerdings möglicherweise erst dann, wenn es schon zu spät ist…

+++++++++++

Putzig ist auch dies:

„Ich bedanke mich ganz herzlich, weil wahrlich eine erheiternde Antwort. Ich hoffe sehr, dass Sie weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Startup haben und bald auf die Liste der ’nicht mehr New‘ Economy Unternehmen kommen, um dann mit anderen Umfragen bemailt zu werden. ;-)“

Höre ich da einen bedrohlich-ironischen Unterton, der mir durch die Blume zu verstehen geben will: ‚Fuck you – du gehörst bald zum alten Startup-Eisen und dann kommen wir jungen Studenten sowieso nicht mehr zu dir – also schnell noch an unserer Umfrage teilnehmen, damit du noch unter die auserwählten ‚New Economy‘ Unternehmen subsumiert werden kannst. Wer weiß, wozu es gut ist.‘

Da möchte ich laut ausrufen: Gehörte ich doch zur Old Economy! Ich wäre happy.

Startups als Wissenschaftsobjekte statistischer Analysen

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen und ähnliche Sätze schon von diversen wissenschaftlichen Instituten gehört habe, die mich als Startup zu Ihrem Massen-Studienobjekt mit ihren Massenmailings erkoren haben.

Nein – ich habe für unentgeltliche Umfragen zum Zwecke ’statistischer Massenerhebungen‘ absolut keine Zeit. Nachdem ich 3-4 Jahre meines Lebens für ein individuelles Startup-Projekt geopfert habe, möchte ich nicht lediglich Teil einer statistischen Erhebung sein, sondern ich möchte auch wissenschaftlich gesehen mit meinem individuellen Projekt wahrgenommen werden. Pierre Bourdieu hat doch gezeigt, dass man individuelle Schicksale durchaus mit einer anspruchsvollen statistischen Analyse verbinden kann. Geht doch mal bei ‚Das Elend der Welt‚ oder bei ‚Die feinen Unterschiede‚ in die Schule…

Deutschland ist ein lustiges Land für Gründer: Wir erhalten NULL Unterstützung (bzw. erst dann, wenn wir eh schon Erfolg haben) und werden von zahlreichen wissenschaftlichen Instituten zu Massenerhebungszwecken angeschrieben, um diesen kostenlos Zeit zu schenken, so als gälte es, die Überlebensfähigkeit der ‚Spezies Startup‘ unter den harten Bedingungen des Neoliberalismus zu untersuchen.

Von keinem der zahlreichen wissenschaftlichen Institute, die gerne unsere Zeit beanspruchen möchten, war jemals eines, das sich für unser INDIVIDUELLES Startup-Projekt tatsächlich interessiert hat. Man merkt ja sofort, wenn ein Serienmailing dahintersteckt.

Niemals wurde uns irgendeine – evt. ja dringend benötigte –  Gegenleistung (z.B. in Form eines öffentlichen Berichts) angeboten. Auch wurde uns nicht angeboten, Einblicke in den Studienansatz der Untersuchung zu nehmen.

Da fällt es schwer, kooperativ zu sein.

Wir kooperieren erst, wenn wir merken, dass unserem Projekt als solchem individuelle Aufmerksamkeit zuteil wird, z.B. in Form einer Analyse unserer Zielsetzungen.

Wir unterstützen nur wissenschaftliche Individualanalysen und keine ’statistischen Erhebungen‘, denn wir sind als Startups keine anonyme Masse, sondern eine äußerst kleine und heterogene Gruppe von Individuen.

(Fotograf des Beitragsfotos: Helmut Schadt – Copyright: Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen)